Wahrnehmung, Wahrheit und Wirklichkeit

Es gibt eine Realität, die unabhängig von der menschlichen subjektiven Wahrnehmung existiert.

Doch wann immer es um zwischenmenschliche Beziehungen geht, ist es nicht hilfreich, um die Wahrheit zu kämpfen.

Argumente, die die eigene Position stützen, werden stärker wahrgenommen als solche, die sie beschädigen.

 

Ein „Wahrnehmungsfilter“ sorgt dafür, dass die tatsächlich wahrgenommenen Informationen stets geringer sind als die angebotenen. Dabei spielen insbesondere Bedürfnisse und auch Bestätigungsfehler eine große Rolle.

Bestätigungsfehler sind die Neigung, Informationen so auszuwählen, zu ermitteln und zu interpretieren, dass diese die eigenen Erwartungen erfüllen (bestätigen). Ansichten und Meinungen verfestigen sich immer mehr, gegenteilige Wahrnehmungen werden ausgeblendet.


Selektive Wahrnehmung

 

Die Tendenz, selektiv wahrzunehmen, ist zwar bei allen Menschen vorhanden, jedoch nicht einheitlich ausgeprägt. Die eher verschlossenen Typen empfinden Dissonanzen grundsätzlich als schlecht und suchen stets nach Übereinstimmung. Sie laufen Gefahr, durch die einseitige Auswahl von Informationen an falschen früheren Entscheidungen festzuhalten oder sich in neuen Situationen falsch zu verhalten. Die Aufgeschlossenen streben zwar ebenfalls nach Konsonanz, sie sind dagegen durchaus bereit, sich mit dissonanten Eindrücken auseinanderzusetzen.

 

Man spricht auch häufig dann von „selektiver Wahrnehmung“, wenn ein Mensch auf ein bestimmtes Thema fixiert ist, seine Lebensprioritäten verschoben sind, er nur noch bestimmte Informationen ausfiltert und Aussagen zu diesem Thema – für ihn ein Reizthema – verstärkt wahrnimmt und andere Informationen mit gleicher Priorität überhaupt nicht mehr erkennt oder nur noch spärlich bemerkt, hier die Aspekte seines „Reizthemas“. Er nimmt nur noch das wahr, was er glaubt, darin zu erkennen, während alles andere ausgeblendet wird.


Auch wenn sich der Begriff Wahrnehmung aus den Worten WAHR und NEHMEN zusammensetzt, hat er nicht viel mit der Wahrheit zu tun. Der durch das Gehirn erzeugte subjektiv sinnvolle Gesamteindruck kann durchaus von der Reralität abweichen. Wir sollten uns darüber im Klaren sein.

 

Da uns eine Wahrnehmung über die Unvollständigkeit der Wahrnehmung fehlt, müssen wir uns auf andere Weise eine Klarheit darüber verschaffen, welche Wahrnehmung fehlt oder fehlerhaft ist.

Diese wichtige Erkenntnis wird zu einem entscheidenden Argument für das Verständnis anderer Menschen und die Erklärung menschlichen Handelns. Sie mag erklären, wie es sein kann, dass zwei Parteien das dieametral Entgegengesetzte behaupten und jede Partei sich im Recht fühlt, weil sie die Wahrheit doch kennt.

Die Selektion der Wahrnehmung spielt dabei eine wichtige Rolle.


Wahrheit und Wirklichkeit

 

Die klassische Definition von Wahrheit findet sich schon bei Aristoteles. Sie ist demnach die Übereinstimmung von „Sache“ (Sachverhalt) und „Wort“ (Benennung).

Es geht also um die Übereinstimmung von Aussagen oder Urteilen mit einem Sachverhalt, einer Tatsache oder der Wirklichkeit im Sinne einer korrekten Wiedergabe.

Das Bild, das sich die Menschen von der Wirklichkeit machen, ist immer durch deren Eindrücke, deren Persönlichkeit und deren Geisteszustand geprägt.

Es gibt keine absolute Wirklichkeit. Stattdessen gibt es nur subjektive, zum Teil völlig widersprüchliche Auffassungen von der Wirklichkeit. Die Annahme, dass die eigene subjektive Wirklichkeit der "wirklichen" Wirklichkeit entspricht, ist ebenso unergiebig wie riskant.


Was ist wahr?

Viele Menschen, die in Verhandlung miteinander treten, gehen davon aus, dass nur die eigene Wirklichkeit, also die subjektive Sicht, der (wahren) Wirklichkeit entspricht und die Wirklichkeit der Verhandlungspartner unwahr ist. Ja, es ist schwer, das nicht Sichtbare zu akzeptieren.


Konfliktlösung

 

Konflikte lassen sich nicht durch Argumente oder durch das Überzeugenwollen der anderen Person von der Wahrheit des eigenen Konstrukts lösen, sondern nur durch das Verstehenwollen des Konstrukts der anderen Person.

 

Im Konflikt setzen die Parteien - bewusst oder nicht - ebenfalls einen Fokus. Immerhin will der Konflikt doch Aufmerksamkeit erregen. Er nimmt in Kauf, dass andere Dinge dann nicht mehr wahrgenommen werden. So ist es (unter Anderem) zu erklären, wenn sich den Parteien nicht mehr das ganze Bild der Wahrheit erschließt, so dass sie sich in ihren Vorwürfen bestätigt sieht und Zweifel ausblenden kann.

 

Schwarmdummheit

 

Die Schwarmdummheit ist der konzeptionelle Gegensatz zur Schwarmintelligenz. In beiden Fällen wird der Einfluss des Kollektivs oder der Gruppe auf die Meinungsbildung des Individuums beschrieben. Der soziale Einfluss verändert die Meinungsbildung des Individuums, das sich der Mehrheitsmeinung anschließt, ohne zu hinterfragen, ob es die zielführende, richtige Meinung ist. Auslöser sind Phänomene wie der Herdentrieb oder der Gruppenzwang.

 

Social Proof

 

Social Proof beschreibt das Phänomen, dass das Denken der Menschen nach Orientierung sucht. Es unterscheidet dabei nicht welcher Qualität die Orientierung ist. Ein Vorurteil genügt oder die Vorstellung, dass Millionen Menschen sich nicht irren können. Machen wir uns klar, dass bereits diese Annahme ein Irrtum ist? Wenn Viele etwas tun, wird es deshalb nicht richtiger.

 

Die Wahrnehmung ist mit Emotionen verknüpft. Sie führt entweder zu Emotionen oder folgt ihnen. Ein Sichtwechsel kann dazu beitragen, die Emotionen zu korrigieren und für andere Lösungen empfänglicher zu machen. Das Hinterfragen und korrigieren von Wahrnehmung ist ein wichtiger Schritt zur Erkenntnisfindung.

 

Die Wahrnehmung zu verändern oder in Frage zu stellen, heisst auch, Erklärungsansätze und letztlich sich selbst in Frage zu stellen.